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Der Valeis-Hund

Was mag das Merkwürdiges sein "Valeis-Hund"? Alte Leute wissen noch davon zu erzählen.

Vor hundert Jahren gab es in Wangs noch öfters Leute, die den Valeis-Hund gesehen hatten. In gewissen Zeiten schlich um Mitternacht ein mächtiger schwarzer Hund mit unheimlich leuchtenden Agen vom Valeisloch her. Wer ihn sah, wich ihm aus. Nie hat man gehört, dass der geisterhafte Valeis-Hund jemanden angefallen hätte. Aber.... besser ist besser! Der alte Nachtwächter Alexander Buob von Wangs soll noch hin und wieder die seltsame Begegnung mit dem Valeis-Hund erlebt haben. Wenn man ihm etwa ein Gläschen anbot und er guter Laune war, erzählte er. "Ja, grad gern rede ich nicht davon. Man sollte nicht über alles plaudern wollen, was man erlebt hat. So ein Nachtwächter sieht und hört manches, und wenn man davon erzählt, glauben es die jungen Leute doch nicht mehr. Etwas Eigenes ist es schon, wenn man so stundenlang mutterseelenallein herumtappt. Wenn die Sterne leuchten oder gar der Mond, dann geht's noch an. Aber wenn's stürmt und wettert, dann erbarm's Gott. Oft überfällt einen der Schlaf mitten im Gehen. Wohl tappen die Beine weiter - aber es geht mechanisch, halb im Traum. Es ist dann schwer zu sagen, was man gesehen.... und was man geträumt hat. Ja so, ich wollte ja vom Valeis-Hund erzählen. Ja, den hab' ich auch manchmal gesehen. Er macht immer den gleichen Weg: vom Valeisloch läuft er über Grünenfeld, Schrabach nach Wangs dann über Gaffizal, Fehrbach zum alten Melser Rathaus und auf den Friedhof. Wenn das Gatter - auf der Rosen - geschlossen war, hab ich's ihm geöffnet, war ich zu spät, sprang er darüber samt seinem Schlüsselband am Hals".

Vor vielen hundert Jahren hatten die Vilterser und Wangser einen Marken-Streit (Grenzstreit). Jahrelang konnten sich die Parteien nicht einigen. Schliesslich brachten sie ihre Streitsache vor ihren Landesherrn, den Grafen Wilhelm von Werdenberg-Sargans und den geistlichen Herrn, den Abt Friedrich von Pfäfers. Im Jahre 1459 begaben sichd die beiden hohen Herren in Begleitung ihrer Amtsleute und mit vielen Zeugen auf das Grenzstück. Beide, Vilterser und Wangser, hatten versprochen, sie wollten sich dem Schiedsspruch fügen. Aber es war leichter zu versprechen als zu halten. Die Vilterser beanspruchten auf dem Kamm mehr Boden, als ihnen die Schiedsrichter zusagten. Und die Wangser behaupteten, der Valeisbach bilde die Grenze. Sie erhielten nur einen Teil des Waldes auf der linken Seite des Baches. Dafür wurde ihnen auch der Weideplatz auf dem Alpkamm zugesprochen. Diesen wenig abtragenden Boden schätzten sie nicht sonderlich. Er heisst heute noch "dr gschtouhla Bodä" (der gestohlene Boden).

Man erzählte sich, die Vilterser besässen noch Urkunden in der Kuppel des Kirchturmes, die sich absichtlich verheimlicht hätten. Jener Amtsmann, der das meiste für die unrichtige Bodenverteilung beigetragen habe, müsse nun zur Strasse in gewissen Nächten als Valeis-Hund umgehen.

Was ich euch noch weiterberichten will, habe ich nicht selber erfahren, aber ich hab's als Bub von der alten Agath gehört.

Eine Magd wollte einst für ihre kranke Meisterin um Mitternacht einen Tee bereiten. Aber, wie verhext, sie fand weder Feuerstein, Zunder noch Stahl. Was sollte sie tun? Zum Glück sah sie im benachbarten Rathaus noch Licht. Rasch nahm sie die Kerze, um in der Ratsstube Feuer zu erbitten.

Mühsam tappte sie durch den finstern Gang. Vor der Ratsstube machte sie halt und pochte an die Eichentür. Kein Ton war zu hören. Sie drückte auf uns sah beim Schein der vielen Kerzen eine ganze Versammlung, lauter fremde Gesichter. Lautlos sassen die zum Teil vornehm gekleideten Herren da, in Gewändern, die einer weit zurückliegenden Zeit angehörten. Mit Gesichtern, wie aus Holz geschnitzt, hockten alle steif um den schweren runden Tisch. Agath stockte. Was ging da vor? Durfte sie die sonderbare Gesellschaft stören? Ein edler Herr - war es ein Graf? winkte ihr. "Komm nur. Sollst Licht haben; es ist gut, dass du nicht aus Gwunder kommst, sonst wär es dir bös ergangen". Der Herr hielt eine brennende Kerze an den Docht. Ganz benommen und verwirrt lief die Magd zurück, ohne zu danken. Kein Wort hätte sie zu sagen vermocht.

Als sie im Herd Feuer anfachte, sah sie ihr Feuerzeug wieder an Ort und Stelle. Erst lange später erinnerte sich Agath, als Kind gehört zu haben, die Richter des falschen Urteilsspruches über den Grenzstreit zwischen Vilters und Wangs, müssten zu bestimmten Zeiten um Mitternacht Gericht halten....

Aus einem alten SJW-Büechli "Geschichten aus dem Sarganserland" von Willi Gantenbein