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Der Alte vom Grünenfeld

Eben schlug es elf Uhr auf dem Melser Kirchturm. Der alte Dekan Vils fuhr aus dem Schlaf empor. Hatte nicht jemand gerufen? Deutlich vernahm er: am Wangserberg, z’Grüänafäld, sei jemand am Sterben, er plangere auf den Pfarrer. Rasch machte sich der Geistliche bereit. Da klopfte schon der Messmer an die Haustüre. Er trug die Windlaterne bei sich und sagte, man habe ihn gerufen. Keiner von beiden wusste, wer gerufen und zu wem sie gehen sollten.

Trotzdem machten sich die beiden gewissenhaften Männer auf den Weg und stiegen bei dunkler Nacht bergwärts. In Grünenfeld weckte der Messmer einen Bauern und fragte, wer da oben krank sei, man habe nach dem Pfarrer geschickt. Der Mann war ganz erstaunt. Er wisse von keinem Kranken, alle im Dörfli seien gesund. Eben wollte der Pfarrer wieder gehen, da öffnete sich ein Läufterlein. Ein weisshaariges Mandli schaute heraus und rief: „Umasuss müossen dr nid äsen wit glaufä si z’Nacht. I bi jo doch dr Eltischt z’ Grünäfäld und wiess nit, wiä und wnn i stirba. Sa tuond mi verwahre; i will mi reisa, we wenn i diä Nacht so stärba müost.“ *

(* Umsonst solt ihr nicht so weit gelaufen sein mitten in der Nacht. Ich bin der älteste in Grünenfeld und weiss nicht, wann mein letztes Stündlein schlägt. So will ich mich rüsten: verwahrt mich, als ob ich schon diese Nacht sterben müsste“)

Der Alte machte seine Andacht darauf begaben sich Pfarrer und Messmer sinnend wieder auf den Heimweg. Auf einmal hörten sie Schritte hinter sich. Ein Bursche berichtete ganz ausser Atem, der alte Kaspar, den sie soeben versehen hätten, sei dann ruhig und friedlich zur ewigen Ruhe entschlafen. So war der Ruf und ihr nächtlicher Gang nicht umsonst gewesen.

Aus einem alten SJW-Büechli "Geschichten aus dem Sarganserland" von Willi Gantenbein